Der Einwurf eines Kündigungsschreiben durch einem Bediensteten der Deutschen Post AG in den Hausbriefkasten begründet den Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Einwurf innerhalb der postüblichen Zustellzeiten erfolgt ist. Maßgeblich ist allein der Umstand, dass sich die übliche Postzustellungszeit aus der Arbeitszeit der Postbediensteten ergibt und die Zustellung durch einen solchen Bediensteten erfolgt ist. Die postüblichen Zustellzeiten werden – sofern nicht andere Zustelldienste einen maßgeblichen Anteil an der Postzustellung haben und diese außerhalb der Arbeitszeit der Briefzusteller der Deutschen Post AG vornehmen – durch das Zustellverhalten von Briefzustellern der Deutschen Post AG geprägt. Diese haben die Zustellungen im Rahmen der ihnen zugewiesenen Arbeitszeiten zu bewirken.
BAG Urteil vom 20.06.2024 - 2 AZR 213/23 -
Bewerben sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmer um einen Betriebsratssitz als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, kann ein „kleinerer“ Betriebsrat errichtet werden.
Das folgt vor allem aus dem in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgedrückten Willen des Gesetzgebers, dass in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt werden. Bei der Betriebsratsgröße ist in der Konstellation von weniger Kandidaten als zu besetzenden Betriebsratssitzen auf die (jeweils) nächstniedrigere Stufe des § 9 BetrVG so lange zurückzugehen, bis die Zahl von Bewerbern für die Errichtung eines Gremiums mit einer ungeraden Anzahl an Mitgliedern ausreicht.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24. April 2024 – 7 ABR 26/23 –
Frau Rechtsanwältin Riese von unserem Arbeitsrechtsteam zum Thema Elternzeit im Handelsblatt.
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/elternzeit-das-gilt-fuer-vaeter/29534652.html
Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach § 3 Abs. 1 EFZG dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, wenn es dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich ist, die geschuldete Tätigkeit bei dem Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommt. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2024 – 5 AZR 234/23 –
Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderliche Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber zu tragen hat. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. Der Betriebsrat hat bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2024 – 7 ABR 8/23 –
Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Insofern ist bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Dezember 2023 – 5 AZR 137/23 –13.12.2023
Ist dem Arbeitnehmer auf der Grundlage der betrieblichen Regelungen bekannt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird, ist er verpflichtet, eine solche, per SMS mitgeteilte Weisung auch in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen. Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne liegt insofern nicht vor. Die Ruhezeit wird durch die Kenntnisnahme nicht unterbrochen. Der Arbeitnehmer kann frei wählen, zu welchem Zeitpunkt er die Weisung zur Kenntnis nimmt. Der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS stellt sich als zeitlich derart geringfügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit nicht ausgegangen werden kann.
Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2023 - 5 AZR 349/22 –
Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer Arbeit auf Abruf, legen aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest, gilt grundsätzlich nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eine Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich als vereinbart. Eine Abweichung davon kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen werden, wenn die gesetzliche Regelung nicht sachgerecht ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Parteien hätten bei Vertragsschluss übereinstimmend eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit gewollt.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Oktober 2023 – 5 AZR 22/23 –
Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23 –
Ist eine Betriebsänderung iSd. § 111 BetrVG geplant und schließen der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat darüber einen Interessenausgleich mit Namensliste, wird nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung des in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmers durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs muss sich die Betriebsänderung noch in der Planungsphase befinden, damit dem Betriebsrat entsprechend dem Zweck des § 111 BetrVG eine Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung möglich ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. August 2023 – 6 AZR 56/23 –
In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22 –
In Arbeitsverträgen mit Profifußballern sind Vertragsklauseln geläufig, nach denen sich der für eine Spielzeit befristete Arbeitsvertrag um eine weitere Spielzeit verlängert, wenn der Vertragsspieler auf eine bestimmte (Mindest-)Anzahl von Spieleinsätzen kommt. Eine solche einsatzabhängige Verlängerungsklausel ist nicht dahin ergänzend auszulegen oder anzupassen, dass im Hinblick auf das pandemiebedingte vorzeitige Ende der Spielzeit der Vertrag sich bei weniger als den festgelegten Einsätzen verlängert.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Mai 2023 – 7 AZR 169/22 –
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpften medizinischen Fachangestellten zum Schutz von Patienten und der übrigen Belegschaft vor einer Infektion verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Das wesentliche Motiv für die Kündigung war nicht die Weigerung, sich einer Impfung gegen SARS-CoV-2 zu unterziehen, sondern der beabsichtigte Schutz der Krankenhauspatienten und der übrigen Belegschaft vor einer Infektion durch nicht geimpftes medizinisches Fachpersonal.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. März 2023 – 2 AZR 309/22 –
Geringfügig Beschäftigte, die in Bezug auf Umfang und Lage der Arbeitszeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, jedoch Wünsche anmelden können, denen dieser allerdings nicht nachkommen muss, dürfen bei gleicher Qualifikation für die identische Tätigkeit keine geringere Stundenvergütung erhalten als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, die durch den Arbeitgeber verbindlich zur Arbeit eingeteilt werden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Januar 2023 – 5 AZR 108/22 –
Der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, erlischt regelmäßig nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Dies folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 245/19 –
Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt der gesetzlichen Verjährung. Allerdings beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 –
Quelle: BAG Pressemitteilung Nr. 48/22
Bei einer betriebsbedingten Kündigung hat die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers anhand der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Kriterien zu erfolgen. Bei der Gewichtung des Lebensalters kann hierbei zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen darf insoweit nicht berücksichtigt werden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 6 AZR 31/22 –
Der Arbeitgeber kann aufgrund seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts den Arbeitnehmer anweisen, an einem Arbeitsort des Unternehmens im Ausland zu arbeiten, wenn nicht im Arbeitsvertrag ausdrücklich oder den Umständen nach konkludent etwas anderes vereinbart worden ist. § 106 GewO begrenzt das Weisungsrecht des Arbeitgebers insoweit nicht auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Die Ausübung des Weisungsrechts im Einzelfall unterliegt nach dieser Bestimmung allerdings einer Billigkeitskontrolle.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. November 2022 – 5 AZR 336/21 –
Quelle: BAG Pressemitteilung 45/22
Im Rahmen der in § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) verankerten sog. einrichtungsbezogenen Impfpflicht besteht kein gesetzliches Tätigkeitsverbot für bereits vor dem 16. März 2022 beschäftigte Arbeitnehmer, die ihrem Arbeitgeber - entgegen § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG - keinen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen. Die Anordnung eines Tätigkeitsverbotes für solche Arbeitnehmer ist gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG vielmehr dem zuständigen Gesundheitsamt als ermessensgeleitete Einzelfallentscheidung vorbehalten. Fehlt es an einer Anordnung eines Tätigkeitsverbotes durch das Gesundheitsamt, ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, solche Arbeitnehmer pauschal unbezahlt von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen.
ArbG Stuttgart, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 15 Ca 2557/22 –
Das Recht der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen.
Quelle: EuGH Urteil vom 22.09.2022 - Aktenzeichen C-120/21 LB
Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 35/22
Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der aus einem SARS-CoV-2-Risikogebiet zurückkehrt, ein 14-tägiges Betretungsverbot für das Betriebsgelände, obwohl der Arbeitnehmer entsprechend den verordnungsrechtlichen Vorgaben bei der Einreise aufgrund der Vorlage eines aktuellen negativen PCR-Tests und eines ärztlichen Attests über Symptomfreiheit keiner Absonderungspflicht (Quarantäne) unterliegt, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich Vergütung wegen Annahmeverzugs.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. August 2022 – 5 AZR 154/22 –
Quelle: Pressemitteilung BAG 29/22
Am 1. August 2022 tritt eine Änderung des Nachweisgesetzes (NachweisG) in Kraft. Danach werden die Pflichten des Arbeitgebers zur schriftlichen Abfassung der wesentlichen Arbeitsbedingungen deutlich ausgeweitet und verschärft.
Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung iSv. § 22 AGG* begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Zu diesen Vorschriften gehört § 168 SGB IX**, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedarf.
BAG Pressemitteilung Nr. 22/22
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21 –
Der Arbeitgeber ist nach § 618 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Arbeitsleistungen, die unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass die Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, als die Natur der Arbeitsleistung es gestattet. Dementsprechend kann der Arbeitgeber zur Umsetzung der ihn treffenden arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen berechtigt sein, auf Grundlage eines betrieblichen Schutz- und Hygienekonzepts Corona-Tests einseitig anzuordnen.
Quelle: BAG Pressemitteilung 21/22
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Juni 2022 – 5 AZR 28/22 –
Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Diese vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21 –
Quelle: BAG Pressemitteilung Nr. 16/22
Einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, sind grundsätzlich zulässig. Sie benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Es ist jedoch nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden.
Quelle: BAG, Urteil vom 01. März 2022 – 9 AZR 260/21 –
Ein Aufhebungsvertrag kann unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sein. Ob das der Fall ist, ist anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB dar, auch wenn dies dazu führt, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt noch der Arbeitnehmer erbetenen Rechtsrat einholen kann.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Februar 2022 – 6 AZR 333/21 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 8/22
Praktikanten haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, wenn sie ein Pflichtpraktikum absolvieren, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist.
Quelle: BAG, Urteil vom 19. Januar 2022 – 5 AZR 217/21 –
Eine Regelung in einem Sozialplan, die einen Abfindungshöchstbetrag festlegt, bewirkt regelmäßig keine gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßende mittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer, wenn die maximal zu zahlende Abfindung die durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehenden Nachteile substantiell abmildert und die Regelung in der Sache nur eine Begrenzung der durch die Berücksichtigung von Alter und Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Abfindungsberechnung bewirkten besonderen Begünstigung dieser Arbeitnehmergruppe darstellt.
Quelle: BAG, Urteil vom 07. Dezember 2021 – 1 AZR 562/20 –
Fahrradlieferanten (sogenannte „Rider“), die Speisen und Getränke ausliefern und ihre Aufträge über eine Smartphone-App erhalten, haben nach § 611a Abs. 1 BGB Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihnen die für die Ausübung ihrer Tätigkeit essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellt. Dazu gehören ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes internetfähiges Mobiltelefon. Von diesem Grundsatz können vertraglich Abweichungen vereinbart werden. Geschieht dies in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers, sind diese nur dann wirksam, wenn dem Arbeitnehmer für die Nutzung des eigenen Fahrrads und Mobiltelefons eine angemessene finanzielle Kompensationsleistung zusagt wird.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. November 2021 – 5 AZR 334/21 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 38/21
Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen. In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 5 AZR 211/21 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 31/21
Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. Der Arbeitnehmer muss dann substantiiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 25/21
Ein unter Verletzung der dreimonatigen Mindestankündigungsfrist gestellter Antrag auf zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit nach § 9a TzBfG kann nicht ohne weiteres als ein zum frühestmöglichen Zeitpunkt wirkendes Angebot verstanden werden. Eine solche Auslegung ist nur möglich, wenn der Arbeitgeber aufgrund greifbarer Anhaltspunkte erkennen kann, ob der Arbeitnehmer die „Brückenteilzeit“ verkürzen oder verschieben möchte
BAG, Urteil vom 7.09.2021 - 9 AZR 595/20 -
Die Corona-Arbeitsschutzverordnung wird bis einschließlich 24. November 2021 und enthält neu insb. die Verpflichtung der Arbeitgeber Beschäftigte zur Wahrnehmung von Impfangeboten freizustellen. Ansonsten gelten die bestehenden Arbeitsschutzregeln fort:
Betriebliche Hygienepläne sind wie bisher zu erstellen und zu aktualisieren, umzusetzen sowie in geeigneter Weise zugänglich zu machen. Arbeitgeber bleiben verpflichtet, in ihren Betrieben mindestens zweimal pro Woche für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Präsenz die Möglichkeit für Schnell- oder Selbsttests anzubieten. Der Arbeitgeber kann den Impf- oder Genesungsstatus der Beschäftigten bei der Festlegung der erforderlichen Schutzmaßnahmen berücksichtigen, eine entsprechende Auskunftspflicht der Beschäftigten besteht jedoch nicht. Betriebsbedingte Kontakte und die gleichzeitige Nutzung von Räumen durch mehrere Personen müssen weiterhin auf das notwendige Minimum reduziert bleiben. Dazu kann auch Homeoffice einen wichtigen Beitrag leisten. Arbeitgeber müssen mindestens medizinische Gesichtsmasken zur Verfügung stellen, wo andere Maßnahmen keinen ausreichenden Schutz gewähren. Auch während der Pausenzeiten und in Pausenbereichen muss der Infektionsschutz gewährleistet bleiben.
Die Änderungen treten am 10. September 2021 in Kraft.
Quelle: Pressemitteilung des BMAS vom 1.9.2021
Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (gemäß § 20 iVm. § 1 MiLoG) für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Juni 2021 - 5 AZR 505/20 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 16/21
Das Landesarbeitsgericht Köln mit Beschluss vom 04.05.2021 bestätigt, dass ein Anspruch auf Teilzeit auch im einstweiligen Verfügungsverfahren durchsetzbar ist. Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Kindes in der Elternzeit und beantragte Teilzeitbeschäftigung in der Elternzeit – dies lehnte der Arbeitgeber ab. Das LAG Köln gab dem Teilzeitantrag statt: Die Klägerin habe glaubhaft gemacht, dass sie einen wirksamen Antrag auf Teilzeit gestellt habe und die Voraussetzungen für den Teilzeitanspruch vorliegen. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die Arbeitnehmerin glaubhaft gemacht habe, sie müsse bei weiterer Abwesenheit befürchten, den „technischen Anschluss“ im Berufsleben zu verlieren und auf ein Abstellgleis zu geraten.
LAG Köln, Beschluss vom 04.06.2021 – 5 Ta 71/21 –
Quelle: LAG Köln Pressemitteilung 5/2021
Das nationale deutsche Datenschutzrecht regelt in § 38 Abs. 2 iVm. § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG, dass für die Abberufung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB vorliegen muss. Damit knüpft es die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten an strengere Voraussetzungen als das Unionsrecht, nach dessen Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO die Abberufung lediglich dann nicht gestattet ist, wenn sie wegen der Aufgabenerfüllung des Datenschutzbeauftragten vorgenommen wird. Einen wichtigen Grund zur Abberufung verlangt das europäische Recht nicht. Zur Klärung dieser Rechtsfrage hat das BAG daher ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 27. April 2021 - 9 AZR 383/19 (A) -
Quelle: Pressemitteilung Nr. 9/21
Wenn sich ein Arbeitnehmer mehrfach nicht an die wegen der Corona-Pandemie ergriffenen Hygienemaßnahmen des Arbeitgebers sowie an die Sicherheitsabstände hält, kann dies die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dies gilt z.B. für den Fall, wenn ein Arbeitnehmer während einer Pandemie bewusst einen Kollegen aus nächster Nähe anhustet und äußert, er hoffe, dass dieser Corona bekäme. Damit verletzt der Arbeitnehmer in erheblicher Weise die dem Arbeitsverhältnis innewohnende Rücksichtnahmepflicht gegenüber seinem Kollegen. Wenn er dann auch im Übrigen deutlich macht, dass er nicht bereit sei, die Arbeitsschutzvorschriften einzuhalten, genügt dies, um die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2021 - 3 Sa 646/20
Nach der gesetzlichen Wertung des § 615 Satz 3 BGB trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko. Dies sind Ursachen, die von außen auf den Betrieb einwirken und die Fortführung des Betriebs verhindern. Nach der bisherigen Rechtsprechung erfasst dies auch Fälle höherer Gewalt, wie z.B. Naturkatastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen oder extreme Witterungsverhältnisse. Um ein solches Ereignis handelt es sich bei der aktuellen Pandemie. Auch eine durch eine Pandemie begründete Betriebsschließung rechnet zum Betriebsrisiko i.S.v. § 615 Satz 3 BGB.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 30.03.3021 - 8 Sa 674/20
Während der Kurzarbeit Null erwirbt ein Arbeitnehmer in diesem Zeitraum keine Urlaubsansprüche gemäß § 3 Bundesurlaubsgesetz. Der Jahresurlaub steht ihm deshalb nur anteilig im gekürzten Umfang zu. Für jeden vollen Monat der Kurzarbeit Null ist der Urlaub um 1/12 zu kürzen. Im Hinblick darauf, dass der Erholungsurlaub bezweckt, sich zu erholen, setzt dies eine Verpflichtung zur Tätigkeit voraus. Da während der Kurzarbeit die beiderseitigen Leistungspflichten aufgehoben sind, werden Kurzarbeiter wie vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer behandelt, deren Erholungsurlaub ebenfalls anteilig zu kürzen ist.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2021 - 6 Sa 824/20
Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung kann als reiner Geldanspruch Ausschlussfristen unterliegen. Dem steht weder der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs 1, § 13 Abs 1 S 1 BUrlG noch die vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommene und für den Senat nach Art 267 AEUV verbindliche Auslegung von Art 7 EGRL 88/2003 und Art 31 Abs 2 EuGrdRCh entgegen. Eine vertragliche Ausschlussfristenregelung ist jedoch insgesamt unwirksam, wenn sie entgegen § 202 Abs 1 BGB die Haftung wegen Vorsatzes begrenzt. Sie kann deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden. An die Stelle der vertraglichen Ausschlussfrist treten unter Aufrechterhaltung des Vertrags im Übrigen die gesetzlichen Bestimmungen (§ 306 Abs 1 und Abs 2 BGB).
BAG, Urteil vom 09. März 2021 – 9 AZR 323/20 –
Mit der Rechtskraft einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung nicht aufgelöst worden ist, steht zugleich fest, dass im Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat. Dies verhindert zugleich, dass dieses Arbeitsverhältnis im Anschluss durch Anfechtung des Arbeitsvertrages beseitigt werden kann.
BAG, Urteil vom 18.2.2021, 6 AZR 92/19
Eine Unterlassungsverfügung zur Sicherung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus §§ 111, 112 BetrVG auf Unterrichtung, Beratung und Verhandlung über eine geplante Betriebsänderung kommt schon aus europarechtlichen Gründen grundsätzlich in Betracht. Einem Betriebsrat, der erst zu einem Zeitpunkt gewählt wird, zu dem die Planung über die Betriebsänderung bereits abgeschlossen und mit der Durchführung des Planes begonnen worden ist, stehen die Ansprüche aus §§ 111 ff. BetrVG jedoch nicht zu.
LAG Düsseldorf, Beschluss vom 6.01.20214 - TaBVGa 6/20 -
Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG), begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson, regelmäßig die - vom Arbeitgeber widerlegbare - Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Januar 2021 - 8 AZR 488/19 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 1/21
Eine Kündigung ist nur dann durch dringende betriebsbedingte Gründe gerechtfertigt, wenn der Bedarf für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft wegfällt. Daher reicht allein ein bloßer Hinweis des Arbeitgebers auf die aktuelle Corona-Lage oder pandemiebedingte Umsatzrückgänge nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine kurzfristige Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückganz zu erwarten ist. Wird zudem im Betrieb bereits Kurzarbeit geleistet, spricht dies gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf.
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 5. November 2020 – 38 Ca 4569/20 –
Quelle: Pressemitteilung Nr. 34/20 vom 18.12.2020
Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmenvereinbarung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Die Arbeitnehmereigenschaft hängt nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Für ein Arbeitsverhältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um solch ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Dezember 2020 - 9 AZR 102/20 –
Quelle: BAG Pressemitteilung Nr. 43/20
Tarifvertragliche Bestimmungen, die eine zusätzliche Vergütung davon abhängig machen, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, ohne zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu unterscheiden, werfen folgende Fragen der Vereinbarkeit der Regelung mit Unionsrecht auf: Ist für die Prüfung, ob Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden, weil eine zusätzliche Vergütung davon abhängt, dass eine einheitlich geltende Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, auf die Gesamtvergütung und nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen? Kann eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt werden, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen?* Diese Fragen müssen durch ein Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, das der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union richtet.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11. November 2020 - 10 AZR 185/20 (A) -
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 40/20
Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe in einem Arbeitsvertrag ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, wenn als Vertragsstrafe das Entgelt für zwei Wochen bzw. einem Monat vorgesehen ist, aber mangels Vereinbarung einer bestimmten Arbeitszeit oder eines festen wöchentlichen oder monatlichen Entgelts nicht feststeht, welches Entgelt auf diesen Zeitraum entfällt. Bei einer solchen Regelung ist bei Vertragsabschluss nicht hinreichend klar, welcher Betrag ggf. anfällt.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Oktober 2020 – 9 Sa 508/20 –,
Eine fristlose Änderungskündigung mit dem Ziel, eine Einführung von Kurzarbeit zu ermöglichen, kann im Einzelfall als betriebsbedingte Änderungskündigung nach § 626 BGB gerechtfertigt sein. Für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Kündigung sind insbesondere eine entsprechende Ankündigungsfrist und eine Begrenzung der Dauer der (möglichen) Kurzarbeit von Bedeutung sowie der Umstand, dass Kurzarbeit nur dann eingeführt werden kann, wenn die entsprechenden Voraussetzungen zur Gewährung von Kurzarbeitergeld auch in der Person des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin vorliegen.
ArbG Stuttgart, Urteil vom 22. Oktober 2020 – 11 Ca 2950/20 –
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs 3 BUrlG voraus, dass der Arbeitgeber konkret "dafür Sorge trägt", dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Nach dem Bundesarbeitsgericht ist bei richtlinienkonformer Anwendung des § 7 Abs 1 S 1 BUrlG der Arbeitgeber dementsprechend verpflichtet, von sich aus in die Initiative zu gehen (vgl. BAG, Urteil vom 25. Juni 2019 - 9 AZR 546/17 -).
Zur Klärung der Frage, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub jedoch nach §§ 194 ff. BGB der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. September 2020 - 9 AZR 266/20 (A) -
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 34/20
Im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Dazu muss er den Arbeitnehmer unmissverständlich und endgültig zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht befreien und das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs zahlen oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagen.
BAG Urteil vom 25.8.2020 - 9 AZR 612/19 -
Nach den Vorgaben im Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) ist der Betriebsrat in das individuelle Verfahren zur Überprüfung von Entgeltgleichheit durch die Beantwortung von Auskunftsverlangen der Beschäftigten eingebunden. Zu diesem Zweck ist ein von ihm gebildeter Betriebsausschuss berechtigt, Bruttoentgeltlisten des Arbeitgebers einzusehen und auszuwerten (§ 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG)*. Dieses Einsichts- und Auswertungsrecht korrespondiert mit der nach der Grundkonzeption des EntgTranspG dem Betriebsrat zugewiesenen Aufgabe, individuelle Auskunftsansprüche von Beschäftigten zu beantworten. Es besteht daher nicht, wenn der Arbeitgeber diese Aufgabe selbst erfüllt.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28. Juli 2020 - 1 ABR 6/19 -
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 24/20
Zur Klärung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einer im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmerin bei seither ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. zu einem späteren Zeitpunkt verfallen kann, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 9 AZR 401/19 (A) -
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 20/20
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) haben "Beschäftigte" zur Überprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots einen Auskunftsanspruch. Im Rahmen der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung des Gesetztes können dabei im Einzelfall auch arbeitnehmerähnliche Personen Auskunft über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung verlangen, da es andernfalls an einer Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit im deutschen Recht fehlen würde.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Juni 2020 - 8 AZR 145/19 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 17/20
Die Parteien eines Tarifvertrags können in diesem nicht wirksam vereinbaren, dass Ansprüche aus dem Tarifvertrag trotz beiderseitiger Tarifgebundenheit nur dann bestehen sollen, wenn die Arbeitsvertragsparteien die Einführung des Tarifwerks durch eine Bezugnahmeklausel auch individualvertraglich nachvollziehen. Eine solche Bestimmung liegt außerhalb der tariflichen Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Mai 2020 - 4 AZR 489/19 -
Quelle Pressemitteilung BAG Nr. 14/20
Mit Beginn der 17. Kalenderwoche 2020 nehmen das Landesarbeitsgericht Hamm und die 17 Arbeitsgerichte des Bezirks den regelmäßigen Sitzungsbetrieb sukzessive wieder auf. In den vier vorausgegangen Wochen sind in beiden Instanzen nur Eilfälle verhandelt und entschieden worden. Diesen Zeitraum haben alle Gerichte genutzt, um sich auf eine möglichst effektive Durchführung der Verhandlungen unter Pandemiebedingungen vorzubereiten.
Quelle: Pressemitteilung LAG Hamm vom 17. April 2020
Regelungen in einer Betriebsvereinbarung, welche die vergütungspflichtigen Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters verkürzen, sind wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG* unwirksam, wenn die betreffenden Zeiten nach den Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrags uneingeschränkt der entgeltpflichtigen Arbeitszeit zuzurechnen und mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten sind.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. März 2020 - 5 AZR 36/19 -
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 12/20
Der Arbeitgeber hat zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Erteilt er jedoch Auskünfte, ohne hierzu verpflichtet zu sein, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Andernfalls haftet der Arbeitgeber für Schäden, die der Arbeitnehmer aufgrund der fehlerhaften Auskunft erleidet.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Februar 2020 - 3 AZR 206/18 -
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 8/20
Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zu, muss er diese nach § 82 Satz 2 SGB IX aF* zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Unterlässt er dies, ist er dem/der erfolglosen Bewerber/in allerdings nicht bereits aus diesem Grund zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet. Das Unterlassen einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist lediglich ein Indiz iSv. § 22 AGG**, das die Vermutung begründet, dass der/die Bewerber/in wegen seiner/ihrer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde. Diese Vermutung kann der Arbeitgeber nach § 22 AGG widerlegen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Januar 2020 - 8 AZR 484/18 -
Quelle Pressemitteilung BAG Nr. 5/20
Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue, auf einem anderen Grundleiden beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2019 - 5 AZR 505/18 -
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 45/19
Nimmt eine Ausschlussfristenregelung in einem Arbeitsvertrag Ansprüche, deren Erfüllung
der Arbeitgeber zugesagt hat oder anerkannt oder streitlos gestellt hat, nicht aus ihrem Anwendungsbereich aus, verstößt sie gegen das Transparenzgebot des § 307
Abs. 1 Satz 2 BGB. Denn sie ist geeignet,den Arbeitnehmer davon abzuhalten, sich
auf seine Rechte zu berufen.
BAG, Urteil vom 03.12.2019 - 9 AZR 44/19 -
Eine Freistellung in einem gerichtlichen Vergleich erfüllt den Anspruch des Arbeitnehmers auf Freitzeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos nur dann, wenn in dem Vergleich hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass mit der Freistellung auch ein Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto ausgeglichen werden soll. Dem genügt die Klausel, der Arbeitnehmer werde unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, nicht.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2019 - 5 AZR 578/18 -
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 40/19
Die kirchenrechtlich vorgeschriebene arbeitsvertragliche Inbezugnahme einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung erfasst zwar inhaltlich auch eine darin enthaltene Ausschlussfrist, die damit zum Bestandteil des Arbeitsverhältnisses wird. Die Ausschlussfrist ist jedoch eine wesentliche Arbeitsbedingung iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG. Die bloße Inbezugnahme der Arbeitsrechtsregelung als solche genügt für den danach erforderlichen Nachweis nicht.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. Oktober 2019 - 6 AZR 465/18 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 36/19
Einem Arbeitnehmer, der sich in der Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses befindet und im gesamten Kalenderjahr von der Arbeitspflicht entbunden ist, steht mangels Arbeitspflicht kein gesetzlicher Anspruch auf Erholungsurlaub zu. Die Freistellungsphase ist mit „null“ Arbeitstagen in Ansatz zu bringen. Bei einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell sind Arbeitnehmer in der Freistellungsphase weder aufgrund gesetzlicher Bestimmungen noch nach Maßgabe des Unionsrechts Arbeitnehmern gleichzustellen, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. September 2019 - 9 AZR 481/18 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 30/19
Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2018 (- 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 -) können und müssen die Fachgerichte jedoch durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung kann danach ua. dann unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt. Dies ist nach dem BAG grundsätzlich der Fall, wenn die Vorbeschäftigung bei der erneuten Einstellung 22 Jahre zurücklag.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. August 2019 - 7 AZR 452/17 –
Quelle: Pressemitteilung BAG Nr. 29/19