Unser Arbeitsrechtsteam in der Rheinischen Post Düsseldorf zum Thema betriebsbedingte Kündigung


Jung, ledig, kündbar

Junge Beschäftigte ohne Unterhaltspflichten gehen bei betriebsbedingten Kündigungen zuerst. Müssen sie aber nicht. Wie Firmen auch junge Leistungsträger halten können.

 

Von Ulrike Winter in der Rheinischen Post vom 27. Juni 2009

 

Muß ein Unternehmer aus betrieblichen Gründen Personal abbauen, schreibt ihm das Gesetz genau vor, wie er "verzichtbare" Mitarbeiter auszuwählen hat: nach sozialen Kriterien. So ist eine Kündigung "ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat", wie es im Kündigungsschutzgesetz, Paragraph 1 Absatz 3, heißt. In der Praxis bedeutet das: Je länger jemand im Betrieb und je älter er ist, je umfangreichere Unterhaltsverpflichtungen er hat, desto mehr "Sozialpunkte" bekommt er. Diese schützen ihn bei der sogenannten Sozialauswahl vor Kündigung.

 

Gleichzeitig bietet das Kündigungsschutzgesetz Arbeitgebern jedoch Möglichkeiten, bei betriebsbedingten Kündigungen auch junge Mitarbeiter zu halten. Zum Beispiel kann der Unternehmer diese Mitarbeiter als unverzichtbar für sein Geschäft einstufen. Auf diese Weise muß er sie nicht mehr in die Sozialauswahl einbeziehen. Sie bleiben außen vor. "In die soziale Auswahl sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen (...) im berechtigten betrieblichen Interesse liegt", heißt es in einem Zusatz des oben genannten Gesetzes.

 

"Diese Leistungsträgerklausel ist vor Gericht weit weniger kompliziert durchzusetzen, als viele Unternehmer meinen", sagt André H. Tüffers, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Düsseldorf. Ein Betrieb, der Heizungen installiert, benötigt zum Beispiel nicht nur Installateure, sondern auch Heizungsbauer, die Schweißarbeiten übernehmen und Rohre verlegen können. Wenn der Betrieb 20 Mitarbeiter hat, von denen nur drei schweißen können, muß er diese drei halten, um sein Geschäft weiterzubetreiben. "Am eindeutigsten läßt sich die Qualifikation der Mitarbeiter natürlich durch Aus- und Weiterbildungsnachweise belegen", sagt Arbeitsrechtsexperte Tüffers. Liegen solche Schulungsunterlagen nicht vor, weil sich die Beschäftigten ihre Fähigkeiten durch jahrelange Praxis angeeignet haben, können Zeugen ihre Qualifikation bestätigen, Vorgesetzte oder Kollegen etwa.

 

Wichtig: Wendet der Arbeitgeber die Leistungsträgerklausel an - wozu er nicht verpflichtet ist - gilt sie für alle Mitarbeiter mit der besonderen Qualifikation. Er muß in dem Fall also alle drei Heizungsbauer von der Sozialauswahl ausschließen.

 

Eine zweite Möglichkeit für Arbeitgeber, junge Mitarbeiter zu halten, ist der Verweis auf die Altersstruktur in der Belegschaft. "Kein Gericht wird einem Arbeitgeber eine Betriebsverjüngung zugestehen", sagt Rechtsanwalt Tüffers, "aber der Unternehmer hat ein Recht darauf, die Altersstruktur seiner Belegschaft zumindest zu erhalten." Voraussetzung: Diese "Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur" (Kündigungsschutzgesetz, Paragraph 1 Absatz 3) ist relevant für das Geschäft.

 

Liegt der Altersdurchschnitt der 20 Installateure eines Heizungsbetriebs zum Beispiel bei 45 Jahren und erhöht er sich durch die Kündigung mehrerer junger Mitarbeiter auf 52 Jahre, muß der Inhaber das nicht hinnehmen, sagt Tüffers. Schließlich steigt mit dem Altersdurchschnitt die Wahrscheinlichkeit, daß Mitarbeiter in absehbarer Zeit altersbedingt ausscheiden, der Betrieb also zusätzlich Kräfte verliert. Zum anderen ist das Installieren von Heizungen eine schwere körperliche Arbeit - weshalb ein Betrieb darauf bestehen kann, das durchschnittliche Alter seiner Belegschaft zumindest auf dem Level zu halten, auf dem es vor den betriebsbedingten Kündigungen war. Eine Werbeagentur kann an dieser Stelle zum Beispiel auch darauf verweisen, daß sie auch für junge Kunden gleichaltrige Ansprechpartner haben muß, um glaubwürdig zu sein, ein Callcenter darauf, überwiegend "junge Produkte" zu verkaufen.

 

In diesen Fällen kann der Arbeitgeber seine Belegschaft zunächst in Altersgruppen einteilen. Danach wendet er auf jede Gruppe die üblichen sozialen Kriterien an und entläßt diejenigen, die innerhalb ihrer Altersgruppe die kürzeste Betriebszugehörigkeit, die geringsten Unterhaltspflichten etc. vorweisen. Je nachdem, wie groß die jeweilige Altersgruppe ist, werden mehr oder weniger Mitarbeiter entlassen. Stellen die 40- bis 50-Jährigen 50 Prozent der Belegschaft, werden dort auch 50 Prozent der Kündigungen ausgesprochen. So bleibt die Altersstruktur der Belegschaft erhalten. Je unangreifbarer die Sozialauswahl ist, die ein Betrieb vornimmt, desto geringer sind oft die Abfindungen, die nachher verhandelt werden. 80 bis 90 Prozent aller Kündigungsschutzklagen, sagt Tüffers, enden im Vergleich.


Interessenausgleich

Verhandeln Arbeitgeber und Betriebsrat einen Interessenausgleich, können sie die klassische Sozialauswahl vereinfachen, indem sie Namenslisten erstellen - sich also darauf einigen, welchen Mitarbeitern gekündigt werden soll.

 

Die Vorteile: Wird eine Namensliste erstellt, hat der Unternehmer bei der Gewichtung der sozialen Kriterien - Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten - mehr Spielraum. So kann er beispielsweise die Unterhaltspflichten stärker berücksichtigen als das Alter seiner Beschäftigten. Außerdem ist die Namensliste, nachdem Unternehmensleitung und Betriebsrat sie erst einmal unterschrieben haben, kaum noch angreifbar, sagt André H. Tüffers, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Düsseldorf. Die Liste könne nur noch auf "grobe Fehlerhaftigkeit" angefochten werden, heißt es im Kündigungsschutzgesetz, Paragraph 1 Absatz 5. Und diese Fehlerhaftigkeit, so Tüffers, "ist im Nachhinein nur noch sehr schwer nachzuweisen."


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